Mali | Wut im Bauch, die Faust in der Tasche

In der malischen Presse kursieren hin und wieder haarsträubende Geschichten, die die korrupte Elite des Landes an den Pranger stellen. Hunderte von Millionen öffentlicher oder zweckbestimmter Gelder werden von den Funktionären des Landes (Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst) in dunkle Kanäle geleitet oder in private Taschen abgezweigt. 
Wie funktioniert das?
  • Dies geschieht seitens der hohen und gewieften Herren durch die Anwendung einer „postfaktischen Gehaltspolitik“. Man legt als Regierungschef, Minister oder hoher Beamter einfach selber fest, welche Zuwendungen in Form von Häusern, Autos oder Geldbeträgen man „gefühlt“ neben dem festgelegten Einkommen aufgrund des Einsatzes fürs Vaterland noch hinzuverdienen kann. Die materiellen Zuwendungen gehen meist an Familienangehörige oder „politische Freunde“. 
  • Andererseits werden Rechnungen einfach fingiert. Statt die zwei neu montierten Reifen für den Dienstwagen in Rechnung zu stellen, wird die Position auf vier erhöht. Statt 1.000 CFA für den Kauf von Lipton-Tee für die Pause in der Amtsstube auf der Quittung aufzuführen, stehen da plötzlich 10.000 CFA die abgerechnet werden. Die für den Bau der Straße veranschlagten x-Tonnen an Zement werden um ein Drittel gekürzt und die für den Kauf zur Verfügung stehenden Gelder unterschlagen. Der Differenzbetrag geht in die eigene Tasche, und der Monteur oder Baustoffhändler erhält ein Schweigegeld. Umgangssprachlich wird korruptes Verhalten entsprechend dem genannten Beispiel mit LIPTON bezeichnet. Jeder weiß dann, was gemeint ist.
So wird betrogen und getrickst was das Zeug hält. In den Dienststellen werden Leute bevorzugt, die „wenig blicken“, die also nicht über das nötige buchungstechnische Know-how verfügen, um der Sache auf die Spur zu kommen bzw. den Mumm haben, etwas dagegen zu unternehmen. Alles hängt irgendwie zusammen. Jeder profitiert von jedem. Jeder weiß, was läuft – aber es erfolgt kein nachhaltiger Aufschrei  der erhitzten Gemüter der Ohnmächtigen in den Höfen  und auf den Straßen.
Neulich sprachen wir an der FATMES im Unterricht über die Problematik der Korruption in Mali. „Wenn ich ein junger relativ gut ausgebildeter Malier wäre, ich würde unter diesen Umständen entweder zum Revolutionär oder zum Migrant“, so mein Statement. „Beides ist für die meisten Malier keine Option. Eine Revolution anzuzetteln gehört nicht unbedingt zur malischen Mentalität“, sagten mir meine Studenten, „und zum Abhauen haben die meisten nicht das nötige Geld.“ Ayiwa - so ist das,sagen folglich die meisten und zeigen damit ihre Ohnmacht. Viele junge Leute haben daher eher den Wunsch, irgendwann im Staatsdienst zu landen. Dort gibt es immerhin eine „bezugssichere“ Umgebung. Die mit krimineller Energie Begabten haben hier, im Korruptionsdschungel, die Chance wenigstens etwas abzubekommen.
Die Definition dessen, was Korruption ist und wie sie bekämpft werden soll, ist aus kultureller Perspektive sehr unterschiedlich. Die westliche Sichtweise greift zu kurz. Die Konventionen von New York (UNCAC), Wien und Genf sind für den afrikanischen Kontext irrelevant. „Der Missbrauch öffentlicher Gelder für private Zwecke solle durch die politischen Leiter überwacht werden“, heißt es dort. Das wäre so, als wenn man die kriminellen Ingenieure, Manager und Schummelsoftwareentwickler von VW als Experten für die Umweltbehörde vorschlagen würde. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Leute verfügen zwar über die nötige Kompetenz, haben aber nicht die dafür nötige Moral.

Das Problem der Korruption in Afrika liegt in erster Linie im unkontrollierten Machtmissbrauch begründet und erst an zweiter Stelle stehen die illegalen buchungstechnischen „Abzweigemanöver“.
Am Ende zahlen immer die einfachen Leute dafür. Sie haben keine Lobby, um gegen die Mächtigen vorzugehen. Viele blicken ganz einfach nicht, wie sehr die Korruption in ihrem Land ihre eigenen Privilegien und Entwicklungschancen (Schulbildung, Gesundheit, Trinkwasser- und Energieversorgung, Straßennetze usw.) hemmt.
Die junge Generation weiß, dass ihnen die famaw (die politische Elite) die Zukunft verbaut. Studierte qualifizierte Leute liegen 5 bis 10 Jahre auf der Straße, nehmen Gelegenheitsjobs wahr und trinken den halben Tag lang Tee. Demokratie und Politik sind in den Augen der meisten Malier ein Selbstbedienungsladen zur privaten Bereicherung und keine öffentliche Plattform des Dienstes am Volk. 
Der ehemalige Ministerpräsident des Landes, Moussa Mara, bestätigte die aufgezeigten Missstände während eines Kongresses seiner Partei am 29. Januar diesen Jahres. Er betont, dass ein armes Land wie Mali auf absehbare Zeit abhängig bleiben wird von den reichen Ländern und den von ihnen vorgegebenen Spielregeln. Statt sich jedoch zu beklagen, gilt es zumindest die selbstverschuldeten Schwachpunkte zu korrigieren - 
  • die Korruption, d.h. die schamlose Plünderung und Umverteilung öffentlicher Gelder
  • die Tatsache, dass offensichtlich korrupte Personen gerichtlich nicht verfolgt werden
  • die räuberische Mentalität in der malischen Verwaltung
Es ist kein Wunder, wenn Jugendliche ihre Faust ballen und ihre Unzufriedenheit sich immer wieder mal in Protestmärschen Luft macht. 
Zu den genannten Missständen kommt hinzu, dass ein Drittel der internationalen Entwicklungshilfegelder in dunklen Kanälen verschwinden und nicht in die Schaffung von Arbeitsplätzen investiert werden. Westliche Politiker machen sich viel zu wenig Mühe, die Intrigen nicht nur aufzudecken, sondern ihnen mutig entgegen zu treten. Harmonische Diplomatie und political correctness haben Vorfahrt und sind einfacher zu praktizieren als relevante, zukunftsweisende Realpolitik. Jede Investition in die klassische Entwicklungspolitik ist indirekt eine Bestätigung der landesinternen Machenschaften.
Und wir, die Missionsgesellschaften und christlichen Entwicklungshilfeorganisationen, wir „basteln an den Symptomen“ herum. Wir sehen das Elend, die Chancen- und Mutlosigkeit der Leute auf den Straßen und beginnen helfend einzugreifen oder zu begleiten. Aber auch die von uns proklamierte „Hilfe zur Selbsthilfe“, auch wenn sie partizipativ geschieht und die Leute an der Basis mit einbezieht, sie greift zu kurz, weil sie nicht an den strukturellen Rahmenbedingungen ansetzt. Um dies zu tun, brauchen wir die global organisierten christlichen Organisationen wie die Weltweite Ev. Allianz, die Micah-Initiative, die Lausanner Bewegung und die Ökumenische Bewegung, um stärker als bisher politischen Einfluss zu nehmen. 
Wir benötigen das Verständnis für die politische Dimension der christlichen Mission in unseren Gremien und Köpfen, samt den Leuten, die durch Petitionen, (partei)politisches Engagement und persönliche Fürsprache Transformation bewirken, die über die punktuelle Entwicklungshilfe und die von Barmherzigkeit motivierten diakonischen Maßnahmen hinausgehen.  

Manchmal frage ich mich, ob wir nicht indirekt der moralisch heruntergekommenen Elite afrikanischer Länder in die Hände spielen. Die gutmütigen Helfer werden schon niemanden verhungern lassen. Wenn die Gelder zum Bau einer öffentlichen Schule veruntreut wurden, dann findet sich schon irgendeine christliche Organisation, die eine christliche Schule aufbaut. Es läuft doch! Und die Schwarzkassenbesitzer lachen sich in ihren klimatisierten Räumen ins Fäustchen.
  • Wir benötigen in Mali Journalisten, saubere Politiker und Menschenrechtler,  die ihrer eigenen Elite auf den Zahn fühlen und sich nicht beugen.
  • Wir benötigen auch solche, die internationale Treffen mit westlichen Diplomaten dazu nutzen, die unfaire, doppelzüngige und damit ungerechte Wirtschaftspolitik westlicher Staaten anzuprangern.
  • Und wir als im interkulturellen Rahmen tätige Akteure, wir fragen: Wo gibt es Wege, auf nationaler und internationaler Ebene als engagierte Christen dem Rad der Korruption und unfairen neoliberalen Wirtschaftspolitik in die Speichen zu fallen? In Idea lese ich, dass man Herrn Rössler applaudiert, weil er sachlich feststellt, dass die Armut in der Welt zurückgegangen sei – so rein statistisch. Dann erwähnen die Leute von Idea noch Rösslers Hinwendung zum katholischen Glauben, um die Verträglichkeit seiner Position mit dem christlichen Gewissen zu suggerieren. In Davos (Weltwirtschaftsforum) tummeln sich auch christliche Geschäftsleute. Ihre Ethik ist vielleicht sauberer als die der anderen. Aber sie spielen alle das gleiche ökonomische Spiel. Auf den Straßen Malis sehe ich bei den einfachen Leuten nichts von Fortschritt und keinen an ihrer Seite, der sich für Fairness einsetzt. 
Es reicht nicht, wohlwollend diplomatisch zu sein, sich feingekleidet neben Politikern und Managern ablichten zu lassen, Thesen zu dreschen und großzügig Symptome zu bekämpfen. So werden wir den auf Unzufriedenheit und Wut basierenden revolutionären Gedankenspielen nichts entgegensetzen und die vielen migrationswilligen Jugendlichen in Afrika nicht überzeugen können.                                                                                                                                                              
Bildquelle: livenewspapertv.com

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