Mali | innerislamische Querelen zwischen toleranten und radikalen Kräften

In Mali beobachten wir seit geraumer Zeit einen innerislamische Machtkampf zwischen den beiden einflussreichen Imamen Ousmane Cherif Madani Haidara, Chef von Ansar Dine International, auf der einen und Mahmoud Dicko, dem Vorsitzenden des Hohen Islamischen Rates in Mali, auf der anderen Seite. Die beiden Hochkaräter des malischen Islam nutzen öffentliche Auftritte, um ihre kontroversen Positionen pointiert darzustellen. Es geht um Einfluss und die Deutungshoheit bei aktuellen Fragen, die die islamische Praxis und das brisante Verhältnis von Politik und Religion betreffen. Der Streit wird gemäß den malischen Spielregeln nicht konfrontativ, sondern indirekt und durch Presseerklärungen und wortgewandte journalistische Mitläufer in Form von geneigter Berichterstattung und in Auftrag gegebener Leitartikel über die Medien ausgetragen.
Ousmane Haidara verteidigt einen toleranten Islam. Er respektiert Christen, Juden und auch Areligiöse in einem Staat, wo die Regierung auch Minderheiten schützen muss. Er lehnt die Einführung der Scharia als Grundlage der Gesetzgebung ab. 
Die Scharia sei für die Muslime, nicht aber für offene Gesellschaften, in denen auch andere Religionen präsent sind. Außerdem plädiert er dafür, dass sich religiöse Würdenträger nicht parteipolitisch engagieren und dabei ihre Öffentlichwirksamkeit instrumentalisieren. Er lehnt es auch ab, dass islamische Amtsträger eine öffentliche Funktion in der Verwaltung anstreben. „Religiöse Leiterschaft darf nicht mit politischer Leiterschaft verwechselt werden“, so eine seiner Aussagen. Seit der islamistischen Bedrohung Malis im Jahre 2012 hat sich Haidara gegen einen „anderen Islam“ ausgesprochen, der die Prinzipien der Solidarität und des Respekts aus den Angeln hebt. Haidara ist so populär, dass er Stadien mit 60.000 Leuten füllen könnte. Wenn er wirklich politische Ambitionen hätte, wäre es ihm ein Leichtes, diesen nachzugehen. Im Januar 2015 hatte die Regierung den Notstand verlängert und die öffentlichen Kundgebungen anlässlich des Maouloud (Geburtstag des Propheten Mohammed) aus Sicherheitsgründen untersagt. Das galt der muslimischen Mehrheit als ein Vorwand und eine unbotmäßige Einmischung. Aus diesem Grund hatte sich Haidara massiv gewehrt und sich öffentlich und medienwirksam mit dem Staatspräsidenten angelegt. Seine Begründung: Der Staat hat nicht das Recht, sich in die Religionsausübung seiner Bürger einzumischen.

Ganz anders denkt da Mahmoud Dicko. Dicko ist bekennender sunnitischer Wahhabit und wird von Saudi-Arabien strategisch, logistisch und finanziell unterstützt. Er vertritt die Meinung, dass Islam und Politik nicht getrennt sein dürfen. Er begründet seine These mit der Feststellung, dass es in Mali ca. 90 % Muslime gäbe und sie ein Recht darauf hätten, dass in der Politik ihre Interessen und die ihrer Religion vertreten würden. Es ist ein scheinbar demokratisches Anliegen, das er vertritt. Aber es widerspricht der Laizität des Staates und missachtet religiöse Minderheiten, die sich gezwungenermaßen einer islamischen Administration und Gesetzgebung unterwerfen müssten.
2011 ist es Dicko gelungen, die Massen auf die Straße zu bringen, um gegen einen für malische Verhältnisse relativ liberales Familienrecht zu Felde zu ziehen. Auf Druck der islamischen Masse hat der damalige Staatspräsident klein beigegeben. Das Ergebnis ist ein Familienrecht, das den Geist der Scharia atmet und gegen internationale Konventionen spricht (totale Unterordnung der Frau, Mädchen dürfen mit 16 Jahren verheiratet werden usw.) 

Die fast willkürliche Islamisierung des Landes zeigt sich darüber hinaus ganz praktisch und für alle sichtbar:

  • Moscheen schießen auf öffentlichen und privaten Grundstücken aus dem Boden, ohne dass dies im Bebauungsplan vorgesehen wäre, geschweige denn eine offizielle Baugenehmigung vorliegt.
  • Lautsprecher werden installiert und beschallen in den frühen Morgenstunden (ab 4.30 Uhr) die Wohnviertel ungeachtet der Kinder und Kranken. Jeder ist der Willkür und der Allgegenwart des Islam ausgesetzt.
  • die Zunahme des Ganzkörperschleiers in der Öffentlichkeit, der ohne Unterschied, Freund und Feind verdeckt.
  • die willkürliche anarchische Organisation öffentlicher Kundgebungen
  • die Ausbildung von Jihadisten und radikalen Kämpfern in den Hinterhöfen der Moscheen und den Koranschulen
Die aufgelisteten Punkte entstammen einem kritischen Leserbrief eines Maliers, decken sich aber mit den Statements von Kollegen und unseren eigenen Beobachtungen.

Mahmoud Dicko wird darüber hinaus vorgeworfen, er benutze den Verband junger Muslime in Mali dazu, um politische Kandidaten seines Geschmacks ins Gespräch zu bringen und sie zur Wahl „zu empfehlen“. Vor der letzten Präsidentenwahl hat er alle Kandidaten wie bei einem politischen Schaulaufen vor dem islamischen Jugendverband auftreten lassen. Dicko selber hatte sich in der Krise im Jahre 2012 als Übergangspräsident ins Spiel gebracht. Immer wieder lassen seine Äußerung eine ideologische Nähe zu den radikalen Islamisten im Norden Malis erkennen (Terrorakte als Strafe für die Ungäubigen, Dominanz der Scharia zur Befriedung der Gesellschaft im Namen Allahs usw.).
Dickos Devise lautet: Wenn der Islam als Religion in einem Land die Mehrheit repräsentiert, dann haben Muslime auch das Recht die Politik zu bestimmen.

Mali hat offiziell eine „säkulare Verfassung“. Davon profitieren natürlich auch politische und religiöse Minderheiten im Land, wie Christen und Religionslose. Sie baut auf der Trennung von Politik und Religion auf. Noch existiert die Verfassung, auch deshalb, weil der internationale Druck in Westafrika und darüber hinaus und der Widerstand im Land selber gegen eine offizielle Islamisierung Malis noch zu groß ist. Mali würde sich politisch weiter isolieren. Wie lange diese Konstellation noch standhalten wird, wird sich zeigen. Der Einfluss islamischer Würdenträger im öffentlichen Leben, in der Verwaltung und auf Gesetzgebungsprozesse sowie bei Wahlen ist nicht von der Hand zu weisen.

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