Mali | Integration von Koranschulen ins öffentliche Schulsystem

Der Ministerrat des Landes hat eine Gesetzesnovelle (projet de loi) beraten, die die Integration der Koranschulen in das öffentliche Bildungssystem vorsieht. Obwohl die Abstimmung im Parlament noch aussteht, werden hier unübersehbare Signale gesetzt.
In der Bildungspolitik wird die islamistische Tendenz in Mali deutlich sichtbar und diskutiert. Am Ende stellt sich die Frage: Entpuppt sich die malische Bildungspolitik als eine islamische Missionsstrategie? Wird der Staat, der eigentlich laizistisch aufgestellt und eine Kontrollfunktion gegenüber den Religionsgemeinschaften ausübt, zum Förder der Mehrheitsreligion?
Die in Mali weit verbreiteten Madrasa (dt. Ort des Studiums, z.B. franko-arabische, allgemein bildende Schulen mit Schwerpunkt Islam) sind schon länger integriert und unter staatlicher Aufsicht, wie auch die christlichen Schulen. Doch die vielen Koranschulen an den Ecken und in den Höfen individuell agierender Imame sind es noch nicht. Hier lauert die Gefahr der radikalen Indoktrinierung und der Ausnutzung der Kinder, die als Koranschüler zum Betteln rausgeschickt und zu Straßenkindern erzogen werden und das erbettelte Geld zum Vorteil des Imam abgeben müssen.
Seit dem September 2014 gibt es eine von der Regierung eingesetzte Kommission, die die Frage der Integration von Koranschulen untersuchen und Vorschläge erarbeiten soll. 

  • Welche Bedeutung haben die Koranschulen in der Gesellschaft?
  • Welche Rolle spielen sie im nationalen Bildungssystem?
  • Wie können Koranschulen an das öffentliche Schulsystem angepasst werden?

Der Generalsekretär des Bildungsministeriums gab zu verstehen: "Die Koranschulen bilden ein wesentliches Element unseres Bildungssystems, geründet auf dem Verstehen des Koran und der sich daraus ergebenden Wissensgebiete". Dieses Statement lässt zumindest keinen Zweifel daran, dass Koranschulen ein rein religiöses Interesse verfolgen. Sollten diese Schulen integriert werden, müsste logischerweise auch für den christlichen Religionsunterricht die Tür offen sein.  
Als das Gesetzesvorhaben öffentlich wurde, gab es unter vielen Christen einen starken „verbalen Protest“. Ist er berechtigt? 
  • Einerseits nein. Denn der Staat hat das Recht, die Kontrolle über die religiöse Erziehung auszuüben, wenn er die Gefahr der Radikalisierung, der sozialen Benachteiligung oder wirtschaftlichen Ausbeutung sieht. Die Integration wäre also eine staatliche Maßnahme gegen die Radikalisierung des Islams in Mali.
  • Andererseits ja, wenn sich herausstellen sollte, dass die Muslime einseitig von der staatlichen Förderung profitieren und die Christen leer ausgehen. Theoretisch hätten die Christen die Möglichkeit, im Namen der Laizität, die Förderung des christlich geprägten Religionsunterrichts einzufordern. Ob Christen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden, wird und muss sich zeigen. Sie sind in der Minderheit …
Die erwähnten Maßnahmen haben ein doppeltes Gesicht.
  • Einerseits tragen sie dazu bei, die radikalen Strömungen des Islam besser zu kanalisieren und zu kontrollieren. Durch Grundlagenkurse werden die vielen Analphabeten mündiger und weniger anfällig gegenüber Extremisten, die in Hinterhöfen ihre Lehren verbreiten und junge Leute für den Jihad gewinnen wollen. Der religiöse Lehrplan unterliegt den schulischen Aufsichtsbehörden. 
  • Andererseits wird den muslimischen Hardlinern des Landes ein großer Wunsch erfüllt, wenn der Staat sich in die „gemäßigte Islamisierung“ des Landes einklinkt. Der Staat wird so zum Förderer und Missionar des Islam (Dawah).
Eigentlich erlaubt es eine laizistische Verfassung nicht, konfessionell gebundene Schulen, ob christlich oder muslimisch, ins staatliche Schulsystem zu integrieren. Die Konfessionsschulen haben einen eigenen, privatrechtlichen Status und unterliegen der Aufsicht des Staates, werden aber separat verwaltet. 
Ein Student der Rechtswissenschaft sagte uns: "Bevor die vom Ministerrat getroffene Entscheidung umgesetzt wird, wäre logischerweise erst eine Verfassungsänderung zu verabschieden, weil hier die laizistische Struktur unterlaufen wird." Das Dekret des Ministerrats bezüglich der Integration der Koranschulen müsste normalerweise erst vom Parlament verabschiedet werden. Es bleibt zu hoffen, dass es hier genügend Abgeordnete gibt, die verfassungsmäßige Bedenken anmelden. Jede Koranschule müsste wie auch christliche Schulen eigens bei den Behörden angemeldet und von ihnen beaufsichtigt werden. 
Meine Vermutung ist, dass der Druck seitens der islamistischen Lobby in Mali so groß ist, dass die Novelle der Integration von Koranschulen überhaupt auf den Weg gebracht wurde. Die meisten dieser Koranschulen verfügen weder über die infrastrukturellen noch pädagogischen Voraussetzungen, die für eine Anerkennung notwendig wären.

Woher kommt der Wandel in der malischen Gesellschaft?
Die malische Verfassung von 1991 garantiert Laizität und freie Religionsausübung. Sie besagt weiterhin, dass der Staat die Gewaltenteilung garantieren muss und die religiösen Führer eine moralische Instanz bilden, sich aber aus dem Alltagsgeschäft der Politik herauszuhalten haben.
Das Konzept der Laizität à la française hat ihren Ursprung in der antiklerikalen Stimmung in den Tagen der großen französischen Revolution von 1789. Die kath. Kirche sollte mundtot gemacht und ihr Einfluss reduziert werden, da man ihr Komplizenschaft mit der herrschenden Klasse vorwarf, was auch begründet war. Es erfolgte hier nicht nur eine Trennung zwischen Kirche und Staat. Die staatlichen Distanzen versuchten außerdem die religiösen Inhalte aus dem öffentlichen Leben zu verbannen (z.B. kein Religionsunterricht an der Schule, Kirchtürme fielen, Klöster wurden in Schulen und Verwaltungsgebäude verwandelt usw.). Religion wurde zur Privatsache erklärt und dem Individuum überlassen. Da die strikte Neutralität des Staates in Sachen Religion jedoch atheistisch und antiklerikal unterwandert war, wurde das Christentum durch diese Maßnahmen benachteiligt. 
Marquis de Condorcet (1743-1794), ein liberaler Revolutionär, trat 1792 dafür ein, das Bildungswesen sowohl von staatlichen als auch von kirchlichen Einflüssen zu befreien. Er gilt daher als ein Vorreiter des laizistischen Bildungssystems in Frankreich. 
1905 wurde das kirchliche Vermögen verstaatlicht, ein eindeutiges Zeichen der Trennung und der Oberhoheit des Staates. 
In Frankreich gibt es eine liberale (institutionelle Trennung von Staat und Kirche) und eine radikale Interpretation (Verbot jeglicher religiöser Betätigung außerhalb des privaten Umfelds) des laizistischen Konzepts. Die Kirchen in Frankreich lehnen letzteres ab. Die kath. Kirche hat jedoch eigenständig auf ihren Status als Staatsreligion verzichtet, erkennt die alleinige Unterordnung unter den Staat wegen ihrer universellen Anbindung an den Papst jedoch nicht an. 
In Mali ist der Islam de facto eine Staatsreligion, obwohl die Verfassung einen solchen Zustand eigentlich verhindern soll. Der Begriff "état laic" muss daher von seiner geschichtlichen Entwicklung her verstanden und im jeweiligen Kontext interpretiert werden.
In Mali gibt es Strömungen, die Laizität des Staates als westliche Vorgabe zu entlarven und als für die afrikanische Gesellschaft irrelevant zu erklären. Alternative Interpretationen der Laizität sind nicht ungewöhnlich. Auch in Deutschland wird Laizität anders interpretiert als in Frankreich. In Afrika ist es allerdings ein no go, die Religion lediglich als Privatsache abstempeln zu wollen. Religionsfreiheit als individualistisches Gut anzusehen, ist dem kollektivistischen Denken Afrikas eher fremd. Die Religionszugehörigkeit wird sehr stark von der Tradtion der Ahnen und dem Familieverband bestimmt. Das beweisen Zeugnisse von Menschen, die vom Islam zum Christentum übergetreten sind. Sie werden vom Kollektiv (Familie) unter Druck gesetzt. Das individuelle Denken, das jeder Person die Entscheidung für eine bestimmte Glaubensrichtung zugesteht, ist in der malischen Gesellschaft nicht verankert. Ein Beispiel: Ein frisch zum christlichen Glauben bekehrter Schüler aus einer muslimischen Familie, wurde von der Familie ausgeschult und in eine weitentfernt liegende Stadt in eine Koranschule geschickt. Solche Beispiele gibt es viele.

Der Islam gehört zu Mali, so die islamistischen Protagonisten, und zwar nicht nur als Religion für den Einzelnen. 90 % der Menschen in Mali sind nominell muslimisch. Der Islam ist insgesamt eine sinnstiftende kulturelle Instanz, die das Denken, das gesellschaftliche Zusammenleben, die Gerichtsbarkeit und auch politische Entscheidungen beeinflusst. Gilles Holder, Anthropologe, beobachtet die seit Jahren zunehmende Bedeutung des Religiösen in der malischen Gesellschaft und schreibt: „Die malische Gesellschaft ist traditionell dem Islam verbunden. Der Islam beeinflusst und strukturiert mehr und mehr die Gesellschaft, und die malische Nation solidarisiert sich zunehmend mit der muslimischen Identität.“
In Mali ist es ein eher moderater, von der malikitischen Tradition geprägter Islam. Wahhabiten und radikale Sunniten sowie Sufisten und politische Salafisten sind erst sehr viel später in Erscheinung getreten.
es bleibt abzuwarten, welche Formen die geplante Integration annehmen wird:
  • Islam- und Koranunterricht an den Schulen
  • privatrechtlicher Status von Koranschulen
  • oder ...
Quellen:
Christine Mauratet, 2011. Dix ans après le 11-septembre : Au Mali, la montée du religieux dans un Etat laïc, www.rfi.fr
Jean-Michel Ducomte. 2001. La laïcité. (Les Essentiels, Band 202).Toulouse: Editions Miland,
Roger Mehl. 1990. Artikel „Laizismus“ in der Theologische Realenzyklopädie (TRE, Bd. 20), Berlin: de Gruyter, S. 404–409,

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