Mali | Solidarität und kritische Distanz in der Missionsarbeit

Vertrautes aufgeben und verlassen, Grenzen überschreiten, sich dem Risiko des Hinausgeschleudertseins ausliefern, in ein fremdes Land gehen, sich auf eine fremde Kultur einlassen – das sind wesentliche Bestandteile der christlichen Mission. Ohne diese Faktoren ist Mission nicht zu haben. Sehr wichtig ist zudem die Bereitschaft, sich mit den Menschen zu solidarisieren und dennoch eine kritische Distanz zu behalten, die vor Vereinnahmung und blinder Zustimmung schützt. 
Jesus hat diese spannungsvolle Ambivalenz zwischen Solidarität und Kritik vorbildlich gelebt. Er lädt die Leute, die ihm am nächsten stehen vor seinem Leiden und Sterben zum Abendmahl und hat gleichzeitig den Mut ihnen zu sagen: Einer von euch wird mich verraten. Es wäre besser, wenn derjenige gar nicht geboren worden wäre (Lukas 22,16-23).
Er lässt sich von einem Pharisäer einladen, genießt dessen Gastfreundschaft und wagt es dennoch, ihn wegen seiner schroffen Haltung der Ehebrecherin gegenüber heftig zu kritisieren. So etwas tut ein Gast normalerweise nicht (Lukas 7, 36-50).
Paulus bezeichnet sich bewusst als Diener (Sklave) Christi. Den Gemeinden dient er jedoch freiwillig, ohne ihr Sklave zu sein (1Kor 9, 19). Dadurch behält er die notwendige Distanz, um sich in seinen Briefen ermutigend, aber auch kritisch zu äußern. 
Als Missionare sind wir auch nur Gäste, Gäste, die aus dem Westen kommen, Gäste mit Privilegien. Zu unserem Selbstverständnis als Missionare gehört es, dass wir uns mit der Situation im Gastland solidarisieren, uns freuen an dem, was gut läuft und leiden an dem, was im Argen liegt.
Doch trotz aller Solidarität, der Dankbarkeit, Gastrecht zu genießen und Akzente setzen zu können … wir brauchen auch die konstruktive Distanz, die uns in Liebe und Entschiedenheit Kritik üben lässt.

Was uns ermutigt und hoffnungsvoll stimmt?
  • Unerfahrene Männer und Frauen übernehmen Verantwortung. Sie sind bereit zu lernen und sich in der Gemeindearbeit für Jesus zu engagieren.
  • Leute, die eine Leidenschaft für Gemeinde und Mission entwickeln und bereit sind, sich dort ehrenamtlich zu engagieren. Sie fangen an und warten nicht darauf, dass irgendjemand eine Projektkasse gründet.
  • Malische Kollegen, die Worten Taten folgen lassen, Initiativen starten, Ideen verwirklichen und Projekte ins Leben rufen, die sich sehen lassen können.
  • Gemeinden, die trotz der politischen Krise und dem Erstarken des radikalen Islam ihren Kurs behalten und keine Mühen scheuen, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Woran leiden wir? Was geht uns auf den Geist? Was enttäuscht uns?
  • Altgediente malische Leiter geraten aneinander. Beziehungen verhärten sich. Die gemeinsame Arbeit leidet. Mit dem Mund wird gelobt, im Herzen geflucht (Psalm 62,5). Und in der Praxis - Widersacher in den Gremien werden geduldet. Auflaufen lassen. Aussitzen. Vergebliche Mediation. Man wartet, bis die Abwahl erfolgt oder der Ruhestand oder bis irgendein Skandal zum Rückzug zwingt.
  • Es wird gelobt und um Verzeihung gebeten. Die Bitte um Vergebung ist jedoch formal und oft oberflächlich und ermöglicht kaum eine konstruktive Auseinandersetzung in der Sache. Es kommt nicht zur Klärung  von Beziehungen und nicht zur Entschuldigung für konkrete Versäumnisse.
  • Der jungen Generation fällt es schwer angesichts der Querelen hinter den Kulissen, die Leiter noch als Vorbilder anzuerkennen.
  • Der Generationenwechsel in den Gemeinden und christlichen Organisationen läuft sehr schleppend und meist holprig. Alte  hängen an ihren Posten und verteidigen „ihr Königtum“. Den Jungen wird Machthunger und Respektlosigkeit vorgeworfen. Hier geht Energie verloren.
  • Auch in Gemeinden wird Geld unterschlagen oder zu persönlichen Zwecken verwendet. Wenn dieses Verhalten von Pastoren ausgeht, ist das besonders gravierend. Vertrauen wird zerstört – innerhalb der Gemeinde und bei den Partnern in der gemeinsamen Arbeit.
  • Verantwortung wird anderen zugeschoben, statt sie zu übernehmen. Dossiers liegen auf Schreibtischen und verstauben. Arbeiten werden angefangen, aber nicht abgeschlossen. Die Übergabe geschieht in der Erwartung, dass die Nachfolger, den Staub der Vorgänger ausfegen. 
  • In der politischen Krise Malis suchen viele die Schuld bei den Franzosen, die angeblich mit gespaltener Zunge reden und mit den Tuaregrebellen unter einer Decke stecken. Und die der UNO wird parteiisches Verhalten vorgeworfen ..., statt sich an die eigene Nase zu fassen und zuzugeben: Wir kriegen es nicht hin! Die Verhandlungen in Algerien und anderswo dauern schon monatelang an. Es sind innermalische Positionen, die einen Durchbruch verhindern, nicht die mangelnde Transparenz von UNO &Co. Das französisch malische Verhältnis ist wegen der kolonialen Vergangenheit immer noch getrübt. Das Misstrauen scheint wie eingebrannt. Außerdem wird Frankreich durch das Vorgehen in Libyen zur Zeit Gaddafis eine Mitschuld an der Ausbreitung des Islamismus im Norden Malis gegeben. Das mag sein. Aber die rein innenpolitischen Faktoren werden damit einfach vermischt und es wird Frankreich eine umfassende Mitverantwortung an der Misere zu geschustert. Hinzu kommt, dass die westlichen Medien anscheinend ein einseitiges, falsches Bild der Tatsachen zeichnen. Die malischen Journalisten hinterfragen aber genauso kritisch die Unfähigkeit der eigenen Eliten … doch im Zweifelsfall sind es die anderen, die Schuld daran tragen, dass Mali nicht auf die Beine kommt. Es gibt ernstzunehmende malische Christen die sagen: Wir fürchten uns mehr vor dem langfristigen schädlichen Einfluss Frankreichs auf die Sahelregion als vor der "Handvoll radikaler islamistischer Terroristen". Frankreich wurde vor einigen Monaten als Retter in letzter Sekunde gefeiert – jetzt sollen sie sich zum Teufel scheren. Ihr lieben Malier – wir verstehen das nur schwer.
  • So viele Ideen und  Vorhaben werden geäußert, gute, konstruktive Dinge. Ich könnte dies, man sollte jenes … Das Problem ist, dass den vollmächtigen Worten nur zaghafte oder keine Taten folgen. Viel warme Luft. 
  • Es werden Arbeitskreise gebildet. Dazu werden Leute benannt, vorher aber nicht gefragt, ob sie bereit sind, oder genügend Zeit haben. Ergebnis: es gibt Kommissionen, die aber nicht arbeiten.  Jeder verlässt sich auf den anderen und die Arbeit bleibt liegen.
Die genannten Phänomene können überall auftauchen, gleich in welchem Land und in welcher Kultur. Doch - überall lassen sie einen faden Beigeschmack zurück. Überall sind wir gefordert, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern in kritischer Solidarität unsere Arbeit zu tun. Wir beten, dass das auf eine liebevolle und konstruktive Art und Weise gelingt. Wir beten um ehrliches Auftreten. Wir beten um Barmherzigkeit, denn jeder kann schuldig werden und selber zum Ärgernis für andere werden.

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