Albert Schweitzer | 100 Jahre Lambarene




Vor 100 Jahren gründete Albert Schweitzer (1875-1965) in Lambarene in der damaligen französischen Kongokolonie (heute Gabun) eine Krankenstation mitten im afrikanischen Urwald. Schweitzer wurde als Deutscher und Sohn eines ev. Pfarrers im elsässischen Günsbach geboren und starb als Franzose, weil er nach dem Sieg der Franzosen im 1. Weltkrieg und der Annektierung des Elsass die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Schweitzer selbst verstand sich jedoch immer als „Weltbürger“. Nationale Kategorien waren ihm viel zu eng. Schweitzer galt als eine intellektuelle und künstlerisch hochbegabte Koryphäe seiner Zeit. Er hatte Philosophie und Theologie studiert und sich in der akademischen Welt einen Namen gemacht. 1899 promovierte er in Berlin zu einer Arbeit über Immanuel Kant. 1901 folgte eine theologische Dissertation über die Leben-Jesu-Forschung. Während seines Grundstudiums in Straßburg und Paris hatte Schweitzer das Orgelspielen erlernt und machte sich mit seinen Werken zur Musik von Johann Sebastian Bach einen Namen. Albert Schweitzer war „theologisches Kind seiner Zeit“ und seine Theologie kann als liberal eingestuft werden. Seine Bewerbung bei der ev. pietistisch geprägten Missionsgesellschaft in Paris wurde im ersten Anlauf abgelehnt – zu liberal eben.
Schweitzer entschloss sich daraufhin 1905 zum Medizinstudium in Straßburg, in der Hoffnung, als Arzt von der Missionsgesellschaft akzeptiert und nach Afrika ausgesandt zu werden. 1912 heiratete er Helene und 1913 reisten beide, nach erfolgreicher Promotion zum Mediziner, nach Lambarene. Seine Mutter stand den Plänen seines Sohnes kritisch gegenüber. Ein Mann, der in drei Fachbereichen promoviert hatte, als Professor habilitiert war und darüber hinaus ein ausgezeichneter Musiker war, der konnte im afrikanischen Busch seine Talente doch nur verschwenden. Seine Missionsgesellschaft hatte ihm zur Auflage gemacht, lediglich als Arzt und nicht als Evangelist oder Theologe zu wirken. Die Oberen der Pariser Mission fürchteten, dass Schweitzer mit seiner liberalen Theologie die Kollegen anstecken könnte.
Von 1913 bis 1964 war Schweitzer mit Unterbrechungen (1917-1924) in Lambarene tätig. 1917 wurden Schweitzer und seine Frau Kriegsgefangene. 1924 kehrten die Schweitzers nach dem erzwungenen Aufenthalt in Europa dank der Fürsprache des schwedischen Bischofs Nathan Söderblom, den Schweitzer bei Vortragsreisen kennen gelernt hatte, nach Afrika zurück. Das Geld zur Finanzierung der Rückreise erwirtschaftete der hochbegabte Musiker durch Orgelkonzerte. 1952 erhielt er sogar den Friedensnobelpreis wegen seines Engagements gegen die atomare Aufrüstung. Neben den vielen Auszeichnungen blieb es nicht aus, dass Albert Schweitzer auch kritisiert wurde, wegen seiner angeblichen kolonialistischen Haltung und wegen seines einseitigen politischen Engagements.
Albert Schweitzer starb 90-jährig am 4. September 1965 und wurde in Lambarene bestattet. 

Albert Schweitzer war kein klassisch pietistischer Missionar. 
Ich frage mich, wie das gut gehen kann, mit einer Missionsgesellschaft auszureisen, die grundsätzliche Anfragen an die Theologie ihres Mitarbeiters hat und deshalb sein Handlungsfeld einschränkt.  
Im Rückblick wird Albert Schweitzer als Missionar der Menschlichkeit bezeichnet und als ein Vorreiter der ärztlichen Mission. In Gefangenschaft formulierte Schweitzer seine ganz persönliche Missionstheologie, die von der Ethik und der Ehrfurcht vor dem Leben geprägt war. „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ – so kann Schweitzers Ethik zusammengefasst werden. Bei seinen Studien ließ sich Schweitzer ebenfalls von der Existentialphilosophie Jean Paul Sartres inspirieren.

Das missionarische Grundmotiv Schweitzers ist von der Ethik und dem allgemeinen Sittengesetz geprägt. Dies besagt, dass sich Menschen im Nachdenken über sich selbst letztlich als Brüder, als Mitmenschen erkennen. So entwickelt sich ein positives, lebensbejahendes Engagement, das über die Grenzen der eigenen Herkunft hinausgeht und fremde, unbekannte Menschen mit einbezieht. Nicht nur im biblischen Zeugnis, sondern auch in den Weltreligionen und Philosophien wird diese den Horizont erweiternde Erfahrung gespiegelt. Von daher ist es für Schweitzer logisch und konsequent, alle lebensbejahenden Religionen und Philosophien als Grundlage für die eigene Motivation ethischen Handelns heranzuziehen. Letztlich mündet diese Logik im Liebesgebot Jesu, das verkündigt und vorgelebt werden muss. Schon in den Veröffentlichungen zur Leben-Jesu-Forschung sah Schweitzer in Jesus ein ethisches Vorbild, dessen Liebe sich hier schon ausbreitet (präsentische Eschatologie), sich aber erst in der Zukunft durchsetzen wird (futurische Eschatologie).

Darüber hinaus ist Schweitzers Engagement vom Motiv der Wiedergutmachung geprägt, wie Ausschnitte aus einer Predigt in der St. Nikolaikirche in Straßburg im Januar 1907 belegen.
Hier kritisiert er zunächst die Heuchelei des Westens: "Die vornehme Kultur, die so erbaulich von Menschenwürde und Menschenrechten zu reden weiß und diese Menschenrechte und Menschenwürde an Millionen und Millionen missachtet und mit Füßen tritt, nur weil sie über dem Meere wohnen, eine andere Hautfarbe haben, sich nicht helfen können; diese Kultur, die nicht weiß, wie hohl und erbärmlich, wie phrasenhaft und gemein sie vor denjenigen steht, die ihr über die Meere nachgehen und sehen, was sie dort leistet, und die kein Recht hat, von Menschenwürde und Menschenrechten zu reden"
Des Weiteren kritisiert Schweitzer das auf wirtschaftliche Ausbeutung ausgerichtete Handeln der westlichen Staaten: "An was denken unsere Staaten, wenn sie den Blick übers Meer richten? ... was sie aus dem Lande ziehen können, immer zu ihrem Vorteil." 
Schließlich appelliert er an das glaubwürdige Engagement in Übersee auf der Grundlage des Prinzips der Wiedergutmachung: "Wo sind die Arbeiter, die Handwerker, die Lehrer, die Gelehrten, die Ärzte, die in diese Länder ziehen? Macht unsere Gesellschaft eine Anstrengung in dieser Hinsicht? Nichts. ... Das Christentum wird zur Lüge und Schande, wenn nicht, was draußen begangen, gesühnt wird, nicht für jeden Gewalttätigen im Namen Jesu ein Helfer kommt, für jeden, der etwas raubt, einer, der etwas bringt, für jeden, der flucht, einer, der segnet.“
Schweitzer möchte Menschen zur diesseitigen Verantwortung und Lebensbejahung anleiten. Dies bedeutet, dass der Mensch sich in individuellen, sozialen und politischen Bereichen engagiert und sich der Welt, so wie sie ist, zuwendet. 

Evangelikale Kritiker würden sehr wahrscheinlich hervorheben, dass Schweitzers Theologie zu diesseitsbezogen war und dass das Herzstück der Mission, nämlich die Verkündigung des Evangeliums und die Gründung von Gemeinden, zu kurz kommen. Ihnen wäre sein Denken auch zu sehr anthropozentrisch (Mensch im Fokus), weil die Ehrfurcht vor dem Leben, sich zu einseitig auf Verbesserung menschlicher Lebensumstände bezieht. Außerdem klingt es für Evangelikale sonderbar, wenn säkulare Philosophien und nichtchristliche Weltreligionen als Quelle der Inspiration für das missionarische Handeln herangezogen werden. 

Wie dem auch sei. Albert Schweitzer gebührt großer Respekt vor seinem Lebenswerk und der Konsequenz in seinem Denken und Handeln. Ist Gott nicht souverän genug, uns auch mit Hilfe säkularer, nichtchristlicher Gedanken zu inspirieren, die mit seiner Offenbarung übereinstimmen? Und in einer Zeit (Beginn 20. Jh.), wo christlicher Glaube im Gewand der westlichen Zivilisation Nichteuropäern aufgezwungen und als sehr zwiespältig erlebt wurde, da brauchte es Missionare, die den Menschen in erster Linie zum Menschen wurden. Ist Gottes Mission im Menschen Jesus Christus, der er ja auch war, nicht in einem gewissen Sinne auch sehr anthropozentrisch? Ich denke: nachhaltig an der Mission Gottes in dieser Welt teilhaben, das werden wir nur dann können, wenn wir den Menschen erst einmal ein Mensch werden.   

Was ich von Albert Schweitzer lerne?

  • der großen Vision treu bleiben, auch gegen Widerstand aus den eigenen Reihen
  • das praktische Engagement stets theologisch (philosophisch) reflektieren und begründen
  • ethische Verantwortung und Weltbejahung als Teil des missionarischen Auftrags begreifen

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