Ist doch sowieso alles nur Theorie? (2)



Es ist interessant zu beobachten, wie sich der Begriff der „Theorie“ im Laufe der Philosophie-geschichte entwickelt hat. Hier ein paar Beispiele:

Für Platon bedeutet theoretisieren: die Ideen hinter den sichtbaren Dingen und Erfahrungen zu entdecken. Theoretisieren war also zweckgebunden.
Beispiel: Platon läuft über den Markt, beobachtet Männer im Gespräch an einem Brunnen und an der anderen Ecke spielende Kinder und Frauen, die Obst verkaufen. Das Theoretisieren, d.h. das gründliche Betrachten der Szene und das Nachdenken über das Konzept hinter dem Phänomen „Mann, Frau, Kind“ führt Platon zu der Grundidee (Theorie) „Mensch“. Dieser gemeinsame Nenner als Kategorie hilft, die in der sichtbaren Welt beobachteten Dinge und Personen einzuordnen. In diesem Sinne hat die Theorie für Platon eine praktische, zweckgebundene Bedeutung.

Anders bei Aristoteles. Für ihn war das Nachdenken über die wesentlichen Dinge hinter der sichtbaren Realität möglich, ohne damit eine zweckmäßige Bindung zur sichtbaren Welt herzustellen. Ein kontemplatives Leben zu führen ist der höchste Sinn der menschlichen Existenz. Je mehr ein Mensch sich in die Kontemplation (innere Anschauung) begibt, umso näher ist er Gott und umso schneller wird er glücklich werden.
Beispiel: Aristoteles geht zu einem Sportfest und schaut sich Läufer und Werfer an, wie sie um Zeit und Weiten ringen und sich bis zur Erschöpfung verausgaben. Dieses Anschauen geschieht um des Spektakels willen und nicht, um dahinter einen tieferen Sinn zu erkennen. Somit bleibt das Theoretisieren eigentlich bedeutungslos, wenn es um die Suche nach einem tieferliegenden Sinn geht. Auch die  Natur und das Universum schaut sich Aristoteles um der Natur willen an, nicht um dahinter ein sinnvolles Ende zu entdecken. Wer theoretisiert um eines sinnvollen Zwecks willen, der stellt damit den Zweck über die Sache selbst, die er beobachtet. Und das soll nach Aristoteles nicht sein.

Das sahen die Stoiker wiederrum vollkommen anders. Nicht Ideen und theoretische Konzepte an sich sind wichtig, sondern Tugenden. Die Tugenden prägen das ethische Verhalten des Menschen. Für die Stoiker hatte die Praxis, d.h. die Umsetzung ethischer Werte von daher Priorität. Theorie ist also weniger wichtig als das praktische Leben.

Plotin, ein Neuplatoniker, sah in der Theorie die Voraussetzung für praktisches Handeln. Wer theoretisiert, muss sich jedoch zunächst von der Praxis lösen, um den „einen wesentlichen Punkt“ zu finden, von dem aus er das Leben betrachtet und gestaltet. Dieses Denken hat die Theologen der frühen Kirche geprägt (Patristik, Kirchenväter) und auch die Mystik des Mittelalters. Theorie ist gleich Kontemplation. Kontemplation bedeutet, sich in Meditation zu versenken und sich mit Hilfe geistiger Arbeit Gott „anzuschauen“ und zu sich ihm zu nähern. Gotteserkenntnis ist das Ziel des Theoretikers. Er will im wahrsten Sinn des Wortes „Gott anschauen“.

In der Neuzeit hat das naturwissenschaftliche Denken Einzug gehalten. Hier wird theoretisiert, indem ein Ausschnitt der Wirklichkeit beobachtet wird. Die Wirklichkeit wird beschrieben (deskriptiv) und erklärt (kausal interpretiert), d.h. es werden Ursachen erschlossen und die sich daraus ergebenden Wirkungen erfasst.  So entsteht eine Theorie nach dem Motto: Wenn die Voraussetzung A gegeben ist, dann wird es wahrscheinlich zur Wirkung B kommen. Die Theorie wird so zu einer aus Beobachtung und Rückschluss entstandenen Handlungsbasis, mit Hilfe derer die Zukunft gestaltet werden kann.

Jeder Mensch entwickelt sog. Alltagstheorien. Man macht Erfahrungen, zieht seine Schlüsse daraus und sagt dann: Das ist meine Theorie. So funktioniert das erfahrungsgemäß.
Kompliziertere wissenschaftliche Theorien müssen darüber hinaus andere Kriterien erfüllen, um als Theorie auch für andere logisch nachvollziehbar zu sein.
Die Wirklichkeit wird beobachtet. Hypothesen (Annahmen) über Ursache und Wirkung entstehen – und damit eine Theorie. Diese muss sich in der Praxis bewähren. Empirische Forschungen (soziologische Labortests sozusagen) sollen die Theorie verifizieren (die Wahrheit überprüfen) oder falsifizieren (die Nichthaltbarkeit der Hypothese nachweisen).
Nur der transparente, nachvollziehbare Beweis verhilft einer Theorie zum Durchbruch. Nur so wird sie glaubwürdig. Nur so wird man auf sie bauen, sie weiterentwickeln und anhand der formulierten Theorie Prognosen für die Zukunft erstellen. Theorien müssen in unserer Zeit einen praktischen Nutzen haben, nachvollziehbar und verständlich sein und die Forschung inspirieren.

Welche Methoden werden angewandt, um Theorien zu entwickeln?

Im Großen und Ganzen stehen zwei unterschiedliche Zugänge bei der Theorienbildung zur Verfügung:
Induktion: konkrete Daten werden beobachtet und empirisch erfasst und systematisiert. Daraus werden Gesetzmäßigkeiten und allgemeingültige Strukturen erschlossen und möglichst in einem anderen Kontext erprobt (verifiziert) und angewandt.
Reihenfolge: konkrete Praxis – Theorienbildung – Verifizierung und Anwendung
Deduktion: durch logisches und kreatives Nachdenken werden Hypothesen (Annahmen) entwickelt. Diese Hypothesen werden anschließend mit der Realität konfrontiert (verifiziert), um herauszufinden, ob sich die allgemein gültige Annahme in der konkreten Situation des Lebens bewährt. Notfalls wird die Hypothese revidiert und neu angepasst.
Reihenfolge: Theorienbildung durch logisches Nachdenken – Verifizierung in der Praxis

Fazit:
Theoretisieren (anschauen) umfasst das systematische, geordnete Beobachten der Wirklichkeit. Die gewonnenen Erkenntnisse werden zu einer Theorie (durch genaues Hinschauen gewonnene Grundannahmen) geformt und helfen, den praktischen Alltag mit seinen unterschiedlichen Herausforderungen zu bewältigen. 
Beispiele, wie aus der Beobachtung einer Sache unterschiedliche Schlüsse gezogen und Theorien gebildet werden können:
Evolutionstheorie. Durch Beobachtung der Natur kam Darwin zu dem Schluss, dass die Natur selbst Kräfte und Dynamiken enthält, die zur Entwicklung des Lebens von einem primitiven zu einem höheren Niveau beigetragen haben. Damit wäre die Annahme eines Schöpfergottes nicht mehr notwendig. Die Theorie: die Natur erschafft und entwickelt sich selbst.
Kreationismus. Im Gegenteil dazu sind andere der Meinung, dass sich die Entstehung des Lebens nicht alleine durch naturinterne Entwicklungskräfte erklären lässt. Bestimmte Entwicklungssprünge (z.B. Affe – Mensch) sind so kompliziert, dass dies nur durch eine höhere Schöpfungsinstanz (Gott) bewirkt werden konnte. Die Beobachtung führte hier zu einer anderen Theorie: Hinter allem steht ein Schöpfergott.

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