Wie lebenstauglich ist westliche Theologie?


Wenn ich  afrikanische oder lateinamerikanische Theologen frage, welche Bedeutung die nordamerikanische und europäische Theologie für sie hat,  dann kristallisieren sich zwei Tendenzen heraus. Einerseits hat man Respekt vor der hervorragenden intellektuellen Leistung und der im Laufe der Jahrhunderte angesammelten theologischen Erkenntnisse. Doch andererseits schütteln sie den Kopf, wegen der Lebensuntauglichkeit westlicher Theologie und der liberalen Aufweichung des Evangeliums. 
Worin liegen die Ursachen für die Skepsis gegenüber der westlichen Theologie? Diese Skepsis hat mehrere Gründe. Einmal, weil die westlichen Theologen immer noch bewusst oder unbewusst für sich beanspruchen, die Führungsrolle inne zu haben. Das gilt im missiologischen Bereich insbesondere für Amerika. Zum anderen, und das trifft besonders auf die deutsche universitäre Theologie zu, wirken die theologischen Konzepte sehr autark, arrogant, in sich geschlossen und sind nicht wirklich auf Ergänzung durch kontextuelle Theologien aus anderen Teilen der Welt angelegt.
Westliche Theologie ist nicht weltoffen genug und ihre Themen bzw. methodischen Konzepte gehen an der Lebenswirklichkeit der Menschen auf der südlichen Halbkugel meist vorbei. Immerhin versuchen postmoderne Ansätze der Theologie die Kontext- und Lebensbezogenheit neu zu entdecken.
Wie kann Theologie lebensrelevant werden?
Die Theologie lebt einerseits von einer rückwärtsgewandten Analyse der Geschichte. Die gründliche historisch analytische Erforschung biblischer Texte ist Grundlage und Voraussetzung theologischer Arbeit. Daran schließt sich meist der Blick in Kirchen- Dogmen- und Theologiegeschichte an. Doch die Theologie darf dabei nicht stehen bleiben. Exegese und Historische Theologie haben keinen Selbstzweck. Theologie ist nur dann relevant, wenn es ihr gelingt, Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens Orientierung und konkrete Hilfen anzubieten. Theologie bewegt sich zwischen offenbartem Wort Gottes und der Lebenswirklichkeit der Menschen, zwischen Evangelium und Gestaltung der Kultur. Jede verantwortliche und relevante Theologie muss daher den jeweiligen Kontext der Hörer erfassen und in diesen hinein das Wort Gottes immer wieder neu sagen. Darin besteht die Berechtigung der kontextbezogenen Theologie, wie sie u.a. von David Bosch seit den frühen 1990er Jahren vertreten wird.Die Diskussion um transformatorische Theologie, missionale Ansätze, Gesellschaftsrelevanz und inkarnatorischen Lebensstil ebbt nicht ab. Die genannten Aspekte zeigen einen Trend, der seine Berechtigung hat, da in diesen Ansätzen versucht wird, vom Leben her zu denken und nicht metaphysisch abgehoben zu agieren. Es ist der Versuch, Theologie lebenstauglich zu gestalten. Eine mögliche Gefahr, die ich sehe ist, dass sich hier eine Welle auftürmt, die irgendwann wieder im Sand verläuft oder am Felsen der klassischen Theologie zerschellt, was zu bedauern wäre. Zum Teil liegt dies aber auch an der Polarisierung und dem teilweise polemischen Unterton gegenüber den Vertretern eher konservativer Ansätze (… und umgekehrt). Der Paradigmenwechsel, der eingeläutet und theologisch reflektiert werden soll, ist wichtig, aber dessen Protagonisten müssen m.E. mehr darauf achten, andere mitzunehmen, statt sie mit dem Brustton der eigenen Überzeugung auszuschließen, was zumindest unbewusst häufig geschieht. Auch bei der postmodernen missionalen Theologie besteht die Gefahr der „übertriebenen Theoretisierung" - eine Krankheit, die der westlichen Theologie seit jeher anhaftet. Dennoch halte ich persönlich den missionalen Ansatz für richtig, auch wenn der rhetorische Kampf um Begriffsfüllungen und Definitionen langsam langweilig wird. Und die vielen Konferenzen zum Thema - sie motivieren nicht nur, sie kultivieren auch das "Lagerdenken". Der missionale Ansatz ist deshalb richtig, weil er die Mission in den Mittelpunkt stellt und alle christliche und gemeindliche Existenz und theologische Reflexion darauf ausrichtet.Hier sehe ich den entscheidenden Unterschied zur klassischen Evangelisation, die sich auf punktuelle Proklamation des Evangeliums konzentriert, aber auch zu den bisherigen Modellen missionarischen Gemeindebaus, wo häufig eine christliche Konsumorientierung (attraktionale Angebotsorientierung) kultiviert wird.
Worin besteht die Gefahr lebensfremder Dichotomien?
In Gesprächen mit theologisch durchaus versierten Zeitgenossen über den postmodernen Ansatz einer inkarnatorisch-missionalen Theologie entdecke ich so etwas wie die „babylonische Gefangenschaft der westlichen Theologie“. Diese kommt, so scheint es mir, nicht ohne Dichotomien (Zweiteilungen) und theoretische Kategorisierungen aus. Die uns einschränkenden Handschellen bestehen aus einer Mischung von platonisch-aristotelischer Philosophie und individualistischer Frömmigkeit. Alles soll einer ursprünglichen Idee, einem theologischen Topos zugeordnet und vom autonomen Individuum nachvollzogen werden.

Natürlich ist es wichtig Kategorien zu haben, die uns helfen, Dinge einander zuzuordnen. Doch die große Gefahr besteht darin, Aspekte, die voneinander unterschieden werden, in realiter voneinander zu trennen.
Dogmatik und Ethik.
Kategorischen Dichotomien führen zu lebensfremden Denkblockaden. So werden Dogmatik und Ethik voneinander unterschieden und postuliert, dass die Dogmatik wichtiger sei als die Ethik, weil Dogmatik die Grundlagen des Glaubens beschreibt und die Ethik nur die logische Folge derselben darstellt. Daraus folgt, dass Verkündigung wichtiger sei als der praktische Lebensvollzug, dass Evangelisation eine logische Priorität habe vor der Diakonie und dem Umbau von ungerechten Sozialstrukturen.
Evangelium und Kultur.
Ein weiterer Aspekt ist die kategorische Trennung von Evangelium und Kultur. Das Wesen des Evangeliums besteht jedoch gerade darin, dass Gott die Natur eines Menschen annimmt und sich so in dessen Kultur inkarniert, ohne dabei seine göttliche Natur preiszugeben. Gott liebt die Welt, ganz gleich wie chaotisch diese auch sein mag, und das bedeutet konkret: er liebt das Universum und den Menschen in seiner Kultur; er liebt die Welt. Das Fleischwerden (Inkarnation) des Wortes Gottes konnte nur gelingen, weil Jesus sich mit den Menschen in ihrer Kultur "anfreundete", in ihr unterwegs war (zelten: Joh. 1,14) und aus dieser Position heraus konstruktiv kritisch die neue Qualität des Evangeliums verkündigte  und lebte. Jesus ist ja nicht nur durch die Lande gezogen, um bildhaft das Reich Gottes zu verkündigen, Wunder zu tun, das Kreuz zu tragen und die Auferstehung von den Toten zu erleben. Er hat ganz selbstverständlich neue kulturelle Umgangs-formen eingeführt und transformatorisch agiert, ohne explizite Berufung auf einen missionarischen Imperativ.  Sein Umgang mit Frauen und mit Menschen am Rand der Gesellschaft (Aussätzige, Zolleinnehmer usw.) war Kultur transformierend. Er hat die religiöse Elite kritisiert und Ehe, Scheidung, das Verhalten zur Besatzungsmacht thematisiert und so neue Akzente gesetzt.
Gott und Welt.
Die westliche Theologie versucht seit Jahrhunderten Gottes Wesen ontologisch zu erfassen. Gott wird an und für sich gedacht (ens per se), als erste Ursache (actus purus), als unsichtbarer Ideengeber in der weltabgewandten Transzendenz.   Der Lebensvollzug und die Relevanz dieses Gottes für den Menschen „mitten im Leben“ drohen dagegen aus dem Blick zu geraten. Wir können jedoch Gott gar nicht denkerisch erfassen, ohne ihn bei seinen Geschichtstaten zu beobachten. Hierin besteht die Berechtigung der Theorie, des Anschauens. Das griech. Wort θεωρεῖν(theoretisieren) bedeutete in der Tradition der griech. Philosophie, die Wahrheit, das Schöne und das absolut Gute an sich zu schauen, ohne dabei über Umsetzung und konkreten Lebensbezug nachzudenken. Von daher entsteht der Eindruck, die Theorie sei weltfremd und stünde der Praxis gegenüber. Dabei ist die Nähe des Wortstamms zum griech. θεός nicht zufällig. Denn die Schau bezieht sich auf Gott selbst. [1] Dies kann in weltabgewandter mystischer Kontemplation geschehen, im Anschauen einer Statue in einem Tempel. Das Anschauen (theoretisieren) kann sich aber auch im aufmerksamen Beobachten des in der Geschichte tätigen Gottes vollziehen, wozu uns die Schriften des alten und neuen Testaments ausdrücklich einladen. Im praktischen Vollzug entdecken wir somit Gottes Wesen. Es macht keinen Sinn, Gott losgelöst davon in ontologische Kategorien pressen zu wollen.
Die Menschen in Afrika z.B., sie wollen nicht wissen, wer Gott wesensmäßig ist. Sie wollen teilhaben an seiner Kraft. Sie wollen wissen, was dieser souveräne allmächtige Gott mit der politischen Entwicklung ihres Landes zu tun hat. Sie wollen die lebensverändernde Kraft des Evangeliums nicht nur verbal wahrnehmen, sie möchten auch wissen, wie die Kraft des Evangeliums Leben verändert. Sie haben kein Interesse an logischen Vorrangigkeiten.
Missional und attraktional.
Beim transformatorischen Ansatz werden missionale und attraktionale Aspekte voneinander unterschieden. Auch hier besteht die Gefahr der lebensfremden kategorischen Dichotomie. Menschen, die in eine postmoderne Emerging Church gehen, tun dies ja nicht nur, weil diese "missional tickt", sondern auch, weil sie sie attraktiv finden. 
Wer legt eigentlich diese Kategorien fest?
Wer bestimmt, dass Dogmatik Vorrang vor Ethik hat, Ontologie Vorrang hat vor Praxis und Evangelisation wichtiger ist als Transformation von Lebensumständen?

Beides ist jeweils wichtig – ohne Zweifel. Das eine darf nicht ohne das andere existieren. Und gerade deshalb sind rein logische Kategorisierungen bedenklich, weil die Gefahr besteht, dass der logisch primäre Aspekt betont und das logisch nachrangige Gut vernachlässigt wird. Und damit geht Theologie am Leben vorbei.

Wenn Ethik der dem Evangelium entsprechende Lebensvollzug ist, dann gehört sie mitten in das missionarische Geschehen hinein als ein Aspekt des „Jünger machen“ und darf nicht kategorisch als eine logische Folge der verkündigten Dogmatik betrachtet werden.

Wenn soziale Gerechtigkeit ein wesentlicher Aspekt biblischer Ethik ist, dann muss sie auch wesentlich den missionarischen Auftrag der Gemeinde Jesu prägen und darf nicht als ein logisches Folgeprodukt der Verbalevangelisation und der Gemeindegründung angesehen werden.
Christus ähnlich werden beinhaltet nicht nur, von den Errungenschaften seines Sühnetodes und der Auferstehung zu profitieren und so in der Heiligung und Gotteserkenntnis voran zu schreiten. Christus ähnlich werden heißt, seine Lebensgrundsätze zu erkennen und sie umzusetzen. Das ist inkarnatorischer Lebensstil.
Der Missionar ist mit seinen Worten und Taten nicht nur Hinweisschild auf Christus. Er ist Botschafter, er ist Bestandteil der Botschaft, ob er dies will oder nicht. An der Ausstrahlung der Christen erkennen Menschen, dass Christus lebt oder nicht und nicht nur an der wahrheitsgemäßen Verkündigung.
Wenn ich mir Jesus anschaue, entdecke ich keine künstlichen Dichotomien.

Im Leben selbst, in der Begegnung werden „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14,6) sichtbar. Reich Gottes ist keine Idee, die logischen Vorrang hat.
Reich Gottes ist die alles umfassende neue Lebensqualität, die von Christus ausgeht. Diese Qualität erneuert das Denken und umfasst das Handeln in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Aus diesem Grund ist Gesellschaftstransformation integraler Bestandteil der ganzheitlichen Dimension des Reiches Gottes. Der Glaube an Jesus lädt ein, in allen Bereichen des Lebens Jesus zu vertrauen und den Glauben konsequent zu leben. Auf diesen ganzheitlichen Aspekt des Christseins muss evangelistische Verkündigung und Nacharbeit m.E. stärker als bisher abzielen. Gott, Jesus, Heiliger Geist, Gebet, Gemeindezugehörigkeit, Heilsgewissheit u.a. klassische Elemente des Christseins, die in Glaubensgrundkursen (z.B. Alphakurse) angesprochen und vertieft werden, sind sicherlich wesentlich. Doch sie könnten durch Themen erweitert werden, die das gesellschaftliche Engagement der Christen betreffen (z.B. Michakurs „Just People“).
Die Verkündigung Jesu geschah durch Lebensvollzug, und dazu gehörten gleichermaßen Worte und Verhalten. Beides diente dazu, Denken und Handeln der Menschen zu verändern. Bei Jesus hatte die Verbalverkündigung keine Priorität vor der Ethik. Das glaubwürdige, inkarnatorische Leben sprach oft lauter als Predigten. Als Jesus einfach so und provozierend zugleich „mitten durch die Menge der ihn kritisierenden Zeitgenossen hindurchging“ (Lukas 4,24-30) war das eine Botschaft, die genauso laut, bedeutungsvoll und vollmächtig war, wie die Worte, die er vor dieser Handlung sprach. Jesus spricht Klartext, als Nikodemus ihn fragt, wie er Anteil am ewigen Leben bekommen kann (Joh. 3). Es ist eine klare evangelistische Ansage: „Du musst von neuem geboren werden.“ Und dann folgt in diesem Zusammenhang der berühmte Vers aus Joh. 3,16 - Verbalevangelisation in Reinform.
In einem anderen Zusammenhang antwortet Jesus einem jungen Mann auf die gleiche Frage nach dem ewigen Leben: „Geh hin und verkaufe alles was du hast, dann komm, und folge mir nach“ (Markus 10,21). Wie findet hier Evangelisation statt? Joh 3,16 Fehlanzeige. Und trotzdem weiß der junge Mann, was Jesus von ihm will, und worauf es ankommt.

Diese beiden Beispiele zeigen, wie sich Indikativ (Zuspruch) und Imperativ (Anspruch) miteinander vermischen – weil es die konkreten Lebenssituationen erfordern. Die Predigten Jesu vom Reich Gottes brillierten nicht nur durch rhetorische Argumentation, selbsterklärende Metaphern und durch Überzeugungskraft. Sie entsprachen seinem Leben. Auf diese Kombination kam es an. Das ist inkarnatorischer Lebensstil, wo göttlicher Anspruch durch Wort und Tat im Leben von Menschen sichtbar wird. Auch Paulus hat dies so praktiziert. Seine missionarische Existenz war geprägt von der Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Und sein von Leiden und Verzicht geprägtes Leben war integraler Bestandteil der Christologie und damit inkarnatorischer Lebensstil. Es ist wichtig zwischen dem zu unterscheiden, was Gott extra nos(ohne unser Zutun) für uns tut und was wir für ihn und andere tun. Dies geschieht zu unserer eigenen Entlastung, denn wir wären heillos überfordert, das zu tun, was nur Gott tun kann. An die Qualität seines Handelns kommen wir nicht heran, was aber nicht bedeutet, dass wir am qualitativen Handeln Gottes in der Welt keinen Anteil hätten. Denn, in der missionarischen Praxis ist das Handeln der Menschen Teilhabe am Handeln Gottes und von daher nicht voneinander zu trennen. Und in der evangelistischen Rede mischen sich Gottes - und Menschenwort, so dass es die Herzen von Menschen trifft. So geschieht Gottes Offenbarung integral, lebensnah und für Menschen nachvollziehbar. So wie der Vater den Sohn gesandt hat, so sind Jünger in die Welt gesandt. Hier zeigt sich die Kontinuität der göttlichen Mission. Der Modus der göttlichen Sendung spiegelt sich in der Sendung der Gemeinde in die Welt. Der Ansatz Jesu ist von Integralität und nicht von logischer Kategorisierung geprägt, die letztlich lebensfremd ist. Das Leben funktioniert integral. Und wenn die Theologen es nicht lernen, ihre Methoden und Reflexionsmechanismen darauf abzustimmen, dann bleibt sie weiterhin im Exil ihrer Denksysteme gefangen und somit irrelevant für die Menschen unserer Zeit.
Theologie gewinnt ihre Bedeutung einerseits in der Orientierung am biblischen Wort und andererseits in der Relevanz für die Lebensgestaltung der Menschen. In diesem Spagat erweist sich die Lebenstauglichkeit der Theologie.





[1] Firstly, theoria is derived from the words theos (God) and orao (to see). It had the meaning “to see god” and particularly referred to this aspect of eying god in the shrine. In: Constantinou, Costas M. 1996. On the Way to Diplomacy.Minnesota University Press.53. Darüber hinaus hatte das Wort theo auch die Bedeutung von “rennen, unterwegs sein”. Gemeint war die Pilgerreise zu einem Tempel oder Schrein, in dem man Gott schauen konnte, oder der Weg zu einem öffentlichen Spektakel oder sportlichen Ereignis. Das Wort „orao“ taucht im französischen und englischen Wort für Stunde (heure, hour) auf (ebd. 54). Dies lässt darauf schließen, dass theoria die Zeit beinhaltet, die ein Mensch benötigt, um sich auf einem Weg Gott zu nähern. Die Assoziationen einer spekulativen Schau, die sich auf Konzepte um ihrer selbst willen bezieht ist im ursprünglichen Wortsinn nicht intendiert.

Kommentare

  1. Anonym10:41

    ja, das ist ein sehr guter Ansatz-
    in der cross-culturellen Mission sind Malierfahrungen sicherlich prägend.
    Mein Ansatz in INDIEN mit zunächst 120 Gemeinden und dann weiteren 7.600 fußt auf dem theologischen "GOTTESBEWEIS"-und der Evidenz inkarnatorischer Offenbarung.- Ich hoffe auf spannenden Austausch.#

    AntwortenLöschen
  2. Danke Dir für Deinen Post. Ähnliche Beobachtungen mache ich ganz aktuell anhand afrikanischer Exegese, die mir bislang überhaupt noch nicht über den Weg gelaufen ist an der Uni (logischerweise; die aktuelle “Bibel und Kirche“ hat 'ne paar gute Artikel dazu). In der Judaistik hatte ich just einen entsprechenden Kurs u.a. zu postkolonialen Studien; interessanterweise wird aber nach wie vor ganz klassisch historisch-kritisch gearbeitet, ohne das man das als westliches Instrumentarium wirklich auf die Waagschale legt. Und vermutlich gilt Ähnliches für viele andere Disziplinen ähnlich. Dass das gerade für die Theologie natürlich ganz besonders gilt, steht außer Frage. Das darüber hinaus Spannende finde ich weiterhin, wie sehr im Prinzip alle Geisteswissenschaften von westlicher Denke geprägt sind, aber langsam nach und nach Aspekte zu hinterfragen beginnen. Und dann kommt vielleicht auch wieder eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis zustande, wie dies an der Uni ja immer gern und größtenteils zu Recht kritisiert wird. Ich bin gespannt, was sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren dort tut. Und es wäre schön, wenn die Theologie in der Hinsicht endlich mal wieder vorangehen würde und Vorbild sein könnte. Aktuell lese ich in solchen Diskussion i.d.R. von Literaturwissenschaften, Geschichte u.ä. Aber wäre es nicht “awesome“, wenn die Geisteswissenschaften wieder mehr auf die Theologie schauen würde, die gerade in dieser Hinsicht ja eigentlich prädestiniert ist?!

    Viele Grüße,
    Philipp

    AntwortenLöschen
  3. Die westliche Theologie ist nicht lebenstauglich!
    Ich verstehe Theologie als die intellektuelle und philosophische Arbeit, um die religiösen Lehren auf eine relevanten Art so zu formulieren, dass diese in einem direkten Bezug auf die reale Situation, in dem sich die Welt und die Menschen befinden, angewandt werden können. Theologie muss deshalb aus dem realen Leben pulsieren und dieses Leben gestalten. Die biblische Theologie orientiert sich dabei an den Schriften des Alten und des Neuen Testamentes und wendet diese auf die Fragen der Gesellschaft an. Die Theologie ist die Kunst, die alten Aussagen der Schrift mit einer Relevanz für die heutigen Tage zu übersetzen. Deswegen ist es unmöglich Theologie nur im Elfenbeinturm der Bibliotheken und Studierzimmer zu betreiben, sondern sie muss ihren Sitz im realen Leben der Menschen haben. Damit finde ich mich bei dem Ansatz der „Kontextualen Theologie“ von David Bosch wieder.
    Diese Art von theologischer Arbeit findet im Spannungsfeld zwischen den Polen von Besinnung auf Geschichte und Tradition und dem Gegenwartsbezug, beziehungsweise der Zukunftsperspektive statt. Obwohl dabei eine gründliche historisch-analytischen Erforschung der überlieferten Heiligen Schriften Voraussetzung ist, liegt die Existenzberechtigung der Theologie nicht in der Exegese, sondern in der relevanten, pragmatischen und zukunftsorientierten Lebensgestaltung der Menschen. Somit wird die Empirische Forschung zum wesentlichen Bestand der Theologie. Da dieses aber in der Regel in den Ausbildungsstätten nicht der Fall ist, geht die Theologie weltfremd an dem Realleben der Menschen vorbei.
    Beide Komponenten sind wichtig. Die Exegese, die Kirchen- und Theologiegeschichte bildet dabei die traditionelle, fundamentale und statische Komponente. Die konkrete Umsetzung für das Leben der Menschen ist die ethische, kreative und dynamischen Komponente und findet gestaltend und wegweisend in die reale Lebenssituation der Menschen statt. Kontextuale Theologie ist immer eine Theologie der Sendung und damit Missionstheologie. Alltagsuntaugliche Theologie ist also in seiner Essenz keine Theologie.
    Die Gestaltung der Gegenwart, des „Jetzt“, ist die konkrete Aufgabe einer gesellschaftsrelevanten Theologie. Ob theologische Arbeit relevant ist, das heißt für die Menschen Bedeutung hat, wird daran gemessen, ob sie für die Daseinsbewältigung Hilfe gibt, das heißt, dass sie Kultur gestaltet . Mit anderen Worten, ob durch die theologische Arbeit der Lebenskampf des Einzelnen sinnvoll wird. An den Früchten erkennt man die Lebenstauglichkeit der Theologie.
    Durch die theologischen Überzeugungen, das heißt durch den Bezug zur Transzendenz, findet der Mensch seine Motivation für das Leben. Was wir glauben, sind wir. Nach Lothar Käser sind Kulturen Strategien der Daseinsbewältigung. Jede menschliche Gemeinschaft ist durch ein Credo, das heißt gemeinsame Grundüberzeugungen, verbunden. Im Kern einer jeden Kultur ist ein Gottesbild, welches das jeweilige Weltbild bestimmt. Es ist die Religion, die dem jeweiligen Handeln Wert, das heißt ethische Bedeutung gibt. Dadurch entsteht zwischen Religion und Daseinsbewältigung, das heißt der Kultur, eine nicht auflösbare Symbiose.
    Deshalb ist es unmöglich Theologie a-politisch zu betreiben. Somit ist die Theologie, welche unseren Glauben und damit unser Handeln bestimmt, entscheidend für das gesamte menschliche Leben und Zusammenleben. Kirche und Gemeinde tritt dadurch in eine politische Dimension. Die Weigerung der Christen, die Gesellschaft in der sie leben zu gestalten, ist die Verleugnung ihrer eigenen Glaubensüberzeugungen. Nichtmissionarische Theologie ist die Verleugnung der Existenzberechtigung der Theologie an sich. Theologie muss deshalb missional sein.
    Angesichts der leeren Kirchen und der Irrelevanz der christlichen Gemeinden für die Gesellschaft, komme ich zu dem m Schluss, dass die westliche Theologie versagt hat. Die westliche Theologie ist also nicht lebenstauglich.

    AntwortenLöschen
  4. Danke für die kurze Zusammenfassung, wie Mission und Theologie ganzheitlich verstanden werden kann. Sehr wertvoll! Ich erlebe es dauernd, wie Kategorien und Dichotomien zwischen Verkündigung & Tat, Rechtfertigung & gelebte Gerechtigkeit, Diakonie & Evangelisation so fest in unseren Köpfen hängen, und man sich nur schwerlich zum integralen Denken voranarbeitet, gerade auf der klassischen Missionar/Gemeindegründer Ebene.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Unser Partner

Schule in Sabalibougou

SPENDENFORMULAR

Spendenkonto

Spar- und Kreditbank Witten

IBAN: DE86452604750009110900
BIC: GENODEM1BFG

Zweck: Meier - Mali